Vor Jahrzehnten, als ich noch eine bescheidene M-Gleis-Anlage hatte, die nie über einen halbfertigen Zustand hinausgekommen ist, aber immerhin ein fertiges, sogar in relaisgesteuerter Automatik befahrbares Gleisnetz hatte, war ich froh, wenn ich in die vier Bahnhofsgleise gerade soeben einen Zug mit 4 Wagen zu 24 cm plus Lok hineingequetscht bekam. Das war damals das Maß der Dinge. Aktuell habe ich meine Anlage im Aufbau (C-Gleis) für eine max. Zuglänge von 200 cm konzipiert. So sind auch die meisten Blockstrecken und alle Bahnhofsgleise in der Länge ausgelegt. Hier stand der Wunsch Pate, wenigstens einen 6-Wagen-Zug mit 28,2 cm-Personenwagenlänge plus Schlepptenderlok über die Anlage und in den Hbf schicken zu können.
In den beiden Schattenbahnhöfen fassen die meisten Gleise 200 cm-Züge. Vier Gleise sind hier sogar 250 cm lang. Die werden vorzugsweise von langen Güterzügen in Beschlag genommen. Es sieht eben auf einer Anlage immer gut aus, wenn es lange Güterzüge gibt. Güterzüge fahren bei mir den Bahnhof nicht an, da es ein Kopfbahnhof ist. Dank intelligenter Steuerungssoftware werden für solche "überlangen" Güterzüge immer stets zwei Blöcke reserviert - und auch so, im Doppelpack, erst wieder freigegeben, damit es nicht zu Havarien kommt. Ansonsten kommen natürlich auch kürzere Längen vor, weil sich allein dadurch ein visuell abwechslungsreicher Betrieb ergibt. Außerdem gibt es zwei Haltepunkte, die nur von kürzeren Regionalzügen angefahren werden und wo die Langen durchrauschen. Die kürzeste, der Software als Zugattribut bekannte Zuglänge ist 30 cm. Diese Länge wird benötigt z. B. für die Rangierlokfahrt, für Fahrt von/zur Drehscheibe (sofern keine Drehscheibendurchfahrt längerer Verbände) und für die Sperrfahrt der zurückkehrenden Schiebelok aus vorangegangener Nachschiebefahrt (für die "überlangen" Güterzüge).
Aus Platzgründen gibt es bei mir, meist auf Gefälleabschnitten, einige wenige Kurvenzüge im Radius 1 (360 mm). Ging nicht anders, wenn man auf der anderen Seite auf begrenzter Fläche ein leistungsfähiges Gleisnetz haben möchte. Auch zwingen einem hier und da die Standard-Bogenweichen diesen ungeliebten Radius auf. Aus Gründen der Optik bin ich deswegen nicht scharf auf 1:87 Reisezugwagen. Da mag man dann bei einer Kurvenfahrt gar nicht mehr hinschauen. Auf solchen sichtbaren R1-Abschnitten lässt bei mir die Steuerung die Züge jetzt schon etwas langsamer fahren, damit es nicht ganz so schrecklich-eckig-hektisch aussieht.
Seit 1935 Märklin 00/H0 startete, hat die Länge der drehgestellbestückten Standard-Schnellzugwagen eine lange Reihe steigender Werte hinter sich. Nachfolgend nur die wesentlichen Längensprünge. Es gibt ab den 1990er Jahren eine zunehmende Zahl von Zwischenstufen.
17,5 cm
Ich besitze eine gut erhaltene HR 700 (BR 01 nachempfunden, Bj. 1937, 27 cm) mit drei dazu passenden Drehgestell-Personenwagen dieser 17,5 cm-Klasse (Bj. ab 1935). Da so ein Zug natürlich nicht mehr mit C-Gleisen zurechtkommt, lasse ich ihn ab und zu als "TT-Bahn" auf einem fliegenden Aufbau auf der Tischtennisplatte seine Runden über immerhin 6 Weichen und eine Drehscheibe 410 M drehen. Allein der Geräuschpegel der 1930er-Jahre-Gleise auf der Aluplatte ist phänomenal. Neben dem Phänomen, dass hier 87 Jahre alte Spielzeugtechnik (den Begriff Modelleisenbahn gab es damals noch nicht) wie selbstverständlich auf Anhieb funktioniert, fällt einem mitunter erst beim zweiten Blick auf, dass die Längenverhältnisse scheinbar invertiert sind: Die Lok ist deutlich länger als die Reisezugwagen. Nach heutigem Maßstab stimmt das mit der invertierten Optik; in den 1930er Jahren waren die Längenverhältnisse für dieses Zugbeispiel eher gleich: 23,9 m Loklänge standen - je nach Wagentyp - 21-23 m langen Wagen gegenüber. Aber - und das ist für mich immer noch ein Argument - die sinnlich-positive Anmutung einer fahrenden Eisenbahn im Kleinen wird trotz dieser unstimmigen Proportionen voll erfüllt. Hierbei zuzuschauen und zuzuhören hat eine eigene Faszination, auch wenn die Maßstäblichkeit daneben ist. Darauf weise ich gerne hin, wenn das Maßstäblichkeitsstreben für einige ModellbahnerInnen an allererster Stelle steht. Ich bin sehr anspruchsvoll, was vorbildnahen Betrieb angeht - die exakte Maßstäblichkeit kommt bei mir dennoch immer erst an zweiter Stelle. Ist jedem/jeder überlassen, wie er/sie es hält. (Hatte mal gerade Lust auf Gendern.) Mit 17,5 cm-Wagen und Elok könnte man aber auf 200 cm-Abschnitten locker einen 10-Wagen-Zug fahren lassen... So gesehen, entspräche das heute einem stattlichen Reisezug von etwa ICE-Länge. (Oje, ich denke gerade an die Reibung von 80 Rädern mit 3,8 mm Radreifenbreite und 40 Stummelachsen in grobschlächtigen Blechlagern.)
Zurück zur Wagenlängen-Reihe, die ich hatte aufstellen wollen:
20, 5 cm
Die sogenannten Schürzenwagen, eine seinerzeit verbreitete Längenklasse der Nachkriegszeit in bewährter Blechfalztechnik aus bedrucktem Weißblech, zu denen auch der dunkelblaue Solitär mit der Groß-Aufschrift "DEUTSCHE BUNDESBAHN" gehört (Nr. 4014, ab Bj. 1953)
21,0 cm
Eine Sonder-Zwischenlänge, die den SBB-Leichtschnellzugwagen vorbehalten blieb (Nr. 4015, 4016, 4017, 4035, 4038; ab Bj. 1951). Ebenfalls Blechfalzkonstruktion.
22,5 cm
Gesellten der noch spielzeughaft anmutenden 17,5 cm-Klasse von 1935 eine neue Klasse mit deutlichem Längensprung nach oben hinzu, so dass man jetzt schon mutig von einem dem Vorbild angenäherten Modell sprechen konnte (Nr. 351-354 in jeweils verschiedenen Ausführungen, ab Bj. 1938). Blechfalzkonstruktion.
23,7 cm
Sonderlänge für schwedische Wagen aus Kunststoff (Nr. 4072, 4073, ab Bj. 1983)
24,0 cm
Der klassische Drehgestellwagen in Blechfalztechnik, eine Wagenkonstruktion, die von 1958 (Nr. 4023, 4024) bis noch Anfang 2000er Jahre als "HOBBY"-Serie in sehr vielen Variationen produziert wurde. Anfangs noch mit nacktem Innenraum, durch zwei von der Decke hängende Glühlampen beleuchtbar. Später mit Inneneinrichtung und transparenten Lichtleitstäben, die das Glühlampenlicht über prismenartige Lichtaustritte gleichmäßiger verteilte.
24,5 cm
Sonderlänge für Wagen der Berliner S-Bahn mit Aufbau aus Kunststoff (Nr. 4104, 4105, 4106, 4183, 4184, 4185, Bj. 1987-98).
26,4 cm
Standardlänge für Autotransportwagen, passend zu den 27,0 cm-Wagen. Kunststoff. (Nr. 4074, 4084, 4233, 4234, 42341, 42342 Bj. 1975-2007).
Sonderlänge für D-Zug-Wagen SBB/BLS (Nr. 4123, 4124, 4125 ab Bj. 1984 bzw. Nr. 4215, 4216, 4217 ab Bj. 1989 bzw. als BLS mit Nr. 4218, 4219 ab Bj. 1989)
Sonderlänge für Nahverkehrswagen CFL (Nr. 4126, 4127, ab Bj. 1986)
Erste Standardlänge für EUROFIMA-Wagen. Diverse Ausführungen (ab Bj. 1980). In den folgenden Jahren werden die Modelle der EUROFIMA-Wagen länger.
27,0 cm
D-Zug-Wagen in verschiedenen Ausführungen, Wagenkasten Kunststoff, Drehgestell Metall/Kunststoff (ab Bj. 1972, ab Bj. 1974 Drehgestell Vollkunststoff).
28,2 cm
Neue Standardlänge für Reisezugwagen (ab Bj. 2008, Maßstab 1:93,5)
29,2 cm
IC2 Doppelstock-Steuerwagen (Nr. 43483, ab Bj. 2018, Maßstab 1:93,5)
30,1 cm
ICE4-Wagen (Nr. 43724, 43725, ab Bj. 2020, Maßstab 1:93,5)
Die 30 cm-Marke ist übersprungen!
Durch die ständig steigenden Wagenlängen der Modelle sind die Anlagen immer zu klein. Man kommt kaum hinterher... Ich möchte aber meinen 6-Wagen-Zug-Status behalten. Deshalb fordere ich: Schluss mit dem zweifelhaften Ziel maßstäblicher Wagenlängen in 1:87 für moderne Reisezugwagen!
Rainer