RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#1 von K-P ( gelöscht ) , 09.03.2007 23:48

Zitat von Litra_EG
ich weiß ja nicht, inwieweit Ihr in Österreich von der Schneekatastrophe 1978/1979 was mitbekommen habt, aber obwohl ich erst 10 war, werde ich das mein Leben lang nicht vergessen. Nur Schneeschippen hätte nix gebracht. Außer kalte Füße.


Hallo Litra_EG,

Deinen Gedanken an die Schneekatastrophe in Norddeutschland greife ich nochmals auf. Ich war damals 13 Jahre alt und denke ähnlich wie Du. In unserem Wohnzimmer, das zur Ostseite lag, herrschten am 1. Januar -14°C. Die einzige Wärmequelle in unserem Haus war ein alter, schon damals seit Jahren nicht mehr genutzter Ofen in der Waschküche, für den mein Vater erst einmal wieder eine provisorische Verbindung zum Schornstein schaffen musste. Darin wurden alle möglichen Holzreste verfeuert. Ein älterer Mann aus unserem Ort verbot dagegen seiner Frau, einen Ofen aufzustellen und an den stillgelegten Schornsteinschacht anzuschließen, weil dann nämlich die Wohnzimmertapete beschädigt worden wäre. Er ist kurz vor der Wiederherstellung des Stromleitungsnetzes erfroren.

Aufgrund unserer beheizten Waschküche ging es uns relativ gut. Wir konnten Essen kochen und uns waschen, weil wir ja die Möglichkeit hatten, Eis aufzutauen. Kurzzeitig beherbergten wir eine hochschwangere Nachbarin. Glücklicherweise bin ich nicht mit den Problemen der Landwirte im Umland konfrontiert worden. Teilweise verhungerte oder erfror dort das Vieh, und die Milchkühe schrien in den Ställen, weil die Bauern die Tiere mit der Hand nicht schnell genug melken konnten, bzw. weil die Kühe sich gar nicht mehr ohne Maschine melken ließen.

Währenddessen fuhr die Bundeswehr die Techniker der Stromversorger mit Panzern und Allradfahrzeugen teilweise querfeldein zu den unterbrochenen Leitungen und umgeknickten Masten. Als der Schneesturm sich gelegt hatte, konnte man kilometerweit die Tag und Nacht brüllenden Motorgeräusche der Leopard 1 hören, denn parallel versuchten Bergepanzer die oft meterhoch verwehten Straßen zu räumen - und scheiterten dabei, weil sie mit ihren Räumschilden den Schnee nur vor sich herschieben konnten. Erst mit Schneefräsen aus Süddeutschland wurde man hier Herr der Lage.

Die folgenden Eisenbahn-Bilder sind sicher schön anzusehen, man sollte dabei aber trotzdem nicht vergessen, dass die Lage für die Betroffenen sehr ernst war. Schließlich konnte niemand wissen, wann sich die Wetter- und Versorgungsverhältnisse normalisieren würden bzw. wie lang die Lebensmittelvorräte reichen würden. Die Lebensmittelgeschäfte waren schließlich schon nach wenigen Tagen leergekauft.

Edit: Leider funktioniert nur noch die Vergrößerung der unteren 5 Bilder und der Streckenkarte; die Imageshack-Bilder stammen aus einem meiner älteren Foren-Beiträge.


212 mit Klima-Schneepflug in Niebüll, 218-Doppel im Bw Flensburg, Bahnsteigdach im Bf Flensburg.


Im Emsland blieb auch manche 220 stecken.


221 in Eutin, eingeschneiter Zug in Husum.

Das Bild rechts unten ist fast schon ein kleines Rätsel:
Man erkennt einen Umbau-Gepäckwagen und einen angehängten Triebwagen der BR 515/815.


Auch das südliche Dänemark war betroffen.


Im folgenden ein Beispiel von der Strecke Flensburg - Kiel,
stellvertretend für die Geschichten, die sich hinter solchen Bildern verbergen.



Zur besseren Übersicht numeriere ich die Züge durch:

- Am 29.12.78 fuhr sich ein Triebzug 1 der BR 612/613 aus Richtung Kiel kommend in einer Schneewehe südlich von Rieseby fest und wurde von einer Diesellok freigeschleppt.

- Der in dieser Zeit im Bahnhof Rieseby wartende Gegenzug 2 (BR 612/613) schneite ein.

- Ein Nahverkehrszug 3 aus Kiel (BR 612/613) blieb in der südlichen Einfahrt von Rieseby stecken. Beim Versuch, ihn mit einer Diesellok freizuschleppen, riss die VT-Einheit auseinander. Ein Teil musste also stehen bleiben. Damit war der Streckenabschnitt Rieseby Eckernförde gesperrt.

- Ein Eilzug 4 aus Flensburg (BR 612/613) wurde mit Vorspannlok (BR 21 gefahren. Am nördlichen Einfahrsignal von Rieseby blieb er in einer Schneewehe stecken. Die 218 fiel mit Motorschaden aus und der Zug schneite sehr schnell ein:



- In Flensburg stellte man nun einen Bergezug 5 zusammen, um die bei Rieseby im Zug 4 festsitzenden Reisenden wieder nach Flensburg zurückzuholen: Zwei Silberlinge, gezogen von drei Dieselloks der BR 218 abc, besetzt mit vier Lokführern und einem Zugführer:

"Kurz vor Winderatt wird's noch schlimmer, wir verlieren enorm an Geschwindigkeit. Ab Sörup wird uns mulmig, von links schlagen Leitungsdrähte an die Lok, von rechts herabhängende Zweige. Es knallt fürchterlich. Wir haben Angst vor umgestürzten Leitungsmasten. Wir gehen in Hockstellung, falls ein Fenster zu Bruch geht."

In Süderbrarup wurde eine der Dieselloks a an den Zugschluss 5 gesetzt.

"In Fahrtoft fahren wir mit Volllast in die Schneewehen hinein und verlieren rapide an Geschwindigkeit. Ein Gefühl, als halten uns Gummiseile. Jetzt 25 km/h, der Schnee schießt über die Lok hinweg - wir werden schneller. Dann hinter Lindaunis (Schlei) in das gesperrte Gleis. Anhaltspunkte fehlen. Wir schieben eine Unmenge Schnee vor uns her und entdecken das Vorsignal von Rieseby, jetzt auch die Schlussleuchte des VT. Bremsen ist gar nicht nötig, der Zug kommt ca. 20 m vor dem Hindernis zum Stehen. Der Schneesturm tobt mit unverminderter Gewalt. Der Zugführer steigt als erster von der Lok. Er versinkt im Schnee, er ist weg, einfach weg! Über freies Feld suchen wir uns einen Weg zum VT."

An Abschleppen war nicht zu denken. Unter schwierigsten Bedingungen, bei stockfinsterer Nacht und tobendem Schneesturm, wurden die Reisenden des Zuges 4 von den Zugpersonalen geborgen und in den Zug 5 übernommen.

"Wir fahren wieder los und kommen gut aus dem Bahnhof. Wir kennen unsere Strecke, gleich muss das Kommando Volllast kommen, aber wir werden wunderbar weich abgebremst. Endstation, hier in Fahrtoft? Von vorne kommt die Meldung, irgendwo im Zug geht die Luft aus der Bremsleitung weg. Ein Verlassen des Führerstands ist nicht möglich. Es gelingt, mit allen Luftpressern den Leitungsdruck zu halten. Unvorstellbar, welche Schneemassen hier liegen. Zurück Richtung Lindaunis. Dann ein neuer Anlauf - wir sind durch! Unbeschreiblicher Jubel über das Zugbahnfunkgerät. Jetzt läuft es besser. Süderbrarup, Sörup, nach Winderatt runter fast von alleine. Dann, nach zwei durchfahrenen Schneewehen ein Schlingern und Stampfen des Führerstandes. Schnellbremsung! Das vordere Drehgestell steht nicht mehr auf den Schienen."

Die bisher ziehende Lok a wird abgekuppelt und bei Winderatt stehengelassen. Der Zug 5 mit den Reisenden fährt gezogen von seinen zwei Loks bc zurück nach Sörup.

"Und plötzlich stand ich mit meiner entgleisten Lok um 1:00 Uhr Nachts bei km 66,2 im freien Feld mutterseelenallein und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Ich hatte ja noch zwei Schnitten und etwas Kaffee."

In Sörup fällt der Aufsichtsbeamte fast in Ohnmacht, als der Zug 5 unangemeldet wieder zurückkommt:



Nun müssen die Fahrgäste versorgt werden. Das THW wird alarmiert und bringt Verpflegung, später auch Dieselkraftstoff für die Lok, damit der Zug 5 beheizt werden kann. Es sind harte Tage für alle - bis man sie am 2. Januar 1979 mit dem Hubschrauber ausfliegt.

Noch in der Nacht vom 29. auf den 30.12.1978 versuchte ein Hilfszug aus Flensburg mit vorausfahrendem Schneepflug 6 zur entgleisten Lok a bei Winderatt zu kommen. Hinter Maasbüll, nach nur 7 km Fahrt, hob eine Schneewehe den Schneepflug an. Hierbei wurde er zur Seite gedrückt und einmal um die eigene Achse gedreht. Die schiebende 218 185-7 landete auf der anderen Seite im schneegefüllten Graben. Zum Glück wurde niemand verletzt, aber die Strecke Flensburg - Kiel war nun endgültig gesperrt:



Der Lokführer der entgleisten Lok a wurde um 8:30 Uhr über Funk aufgefordert, sich nach Winderatt durchzuschlagen, da das Wetter immer schlechter wurde und keine Hilfe zu erwarten sei.

"Den Motor ließ ich weiterlaufen, meldete mich über Funk ab und machte mich auf den Weg, immer die Telegrafenmasten im Auge, um nicht vom Kurs abzukommen. Etwa 50 Minuten brauchte ich für einen Kilometer. Die Schrankenwärterin schlug die Hände über dem Kopf zusammen bei meinem Anblick."

Mit Bergepanzern der Bundeswehr wurde bei Maasbüll zunächst eine Fläche neben dem Gleis freigeräumt und die entgleiste 218 6 mit zwei Eisenbahnkränen dort auf dem Feld abgesetzt. Nachdem das schwer beschädigte Gleis repariert war, hoben die beiden Kräne die Lok am 3. Januar wieder auf das Gleis:



Erst am 5. Januar war die Strecke wieder durchgehend befahrbar:



Freundliche Grüße

K-P


K-P

RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#2 von Cougarman ( gelöscht ) , 10.03.2007 00:07

Hallo Klaus-Peter,

Was für ein netter Beitrag

Ich war zwar schon 16, aber leider habe ich keinerlei Erinnerung an die Schneekatastrophe. ops:
Die ist wohl nicht bis Lübeck gekommen.
da hatte ich grade Urlaub.


Cougarman

RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#3 von K-P ( gelöscht ) , 10.03.2007 00:15

Zitat von Cougarman
Die ist wohl nicht bis Lübeck gekommen.


In Lübeck gab es aufgrund des Oststurms Hochwasser, später türmten sich dort die Eisschollen, aber so schlimm wie im Norden war es dort tatsächlich nicht.


K-P

RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#4 von Achim ( gelöscht ) , 10.03.2007 00:21

Ja da kann ich mich noch gut dran erinnern, bei uns lag der Schnee an den meisten Stellen "nur 1 Meter" hoch. An irgendwelchen Verkehr war nicht zu denken. Eine Ruhe lag über der Stadt, die ich seitdem nicht wieder erlebt habe. Man wurde richtig unruhig, es fehlt das Brausen der Großstadt Bielefeld . Da Strom, Heizung funktionierten hatten wir keine heftigen Probleme und den Schnee ham wir mit vereinten Kräften auf große Haufen vor den Haupteingang der "Alm" gekippt.

Irgendwann gegen Mittag erschien ein Schneeräumer, der eine Fahrbahn von 2,50 Meter Breite räumte, wohl um Krankenwagen und Feuerwehr eine Bewegungsmöglichkeit zu verschaffen, dann passierte lange gar nichts mehr.
Dauerte viele Wochen bis die Schneehaufen von 3 - 4 Metern Höhe im Frühling abgeschmolzen waren.

Was kosten eigentlich ein paar hundert Schneefräsen zusätzlich? Die werden doch nicht teuerer sein als die Bundeswehr.

Achim


Achim

RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#5 von alexus , 10.03.2007 10:48

Hallo zusammen

ich kann mich noch gut daran erinnern, war damals 15.

Da wurde in Sonthofen ein Zug mit lauter Schneepflügen, Schneefräsen und Radladern aus dem ganzen Oberallgäu zusammengestellt, als Hilfe beim Aufräumen.
Bei uns hatte es damals nur etwa 1,5m im Tal, ganz normal.


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RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#6 von Dirk Ackermann , 10.03.2007 12:54

Ich war damals 10 Jahre alt und als einzige Erinnerung habe ich die Schlufreien Tage behalten. Bei uns in NRW (Kreis Unna) war nicht viel Schnee dafür hatten wir aber viel Eis auf den Straßen so daß die Busse nicht fuhren.

Wenn ich mich recht erinnere war der Spuk nach einer oder zwei Wochen vorbei.


Grüße aus Dithmarschen
Dirk

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RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#7 von Thilo , 10.03.2007 13:36

Hallo,

ich war damals acht Jahre alt. Ich erinnere mich, daß die Kieler Förde komplett!!! zugefroren war. Unmengen von Menschen sind auf die zugefrorene Förde gegangen. In den Kieler Nachrichten war auch ein Bericht mit Photo, wo man (weit im Hintergrund) unsere Familie erkennt (meine Eltern, wir drei Kinder und zwei Dackel).

Ansonsten weiß ich noch, daß keine Autos mehr fuhren und eine Schneewehe sich bis vor das Fenster meines Zimmers (1. OG) türmte. Wir hatten mit der ganzen Nachbarschaft eine Schneehöhle gebaut, in der auch mein Vater aufgerichtet stehen konnte.

Versorgungsprobleme gab es bei uns zum Glück nur wenige, wir lebten halt am Stadtrand.

Viele Grüße aus dem Norden

Thilo


Meine Modulanlage mit Bf. "Königsförde"


 
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RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#8 von Treibstange , 10.03.2007 13:43

Hallo K-P,

dein Posting - mir fehlen passende Worte - einfach perfekte Schilderung der damaligen Situation. Danke!


Mfg. Christian
................................
Nur das Vorbild ist Vorbild fürs Modell!


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RE: Schneekatastrophe 1978/1979 in Norddeutschland

#9 von photopeter ( gelöscht ) , 10.03.2007 19:39

Hi,
Auch ich kann mich noch an diese Schnee- Katastrophe erinnern. Da habe ich nämlich mein erstes Geld verdient (Schule fiel ja aus, da hatte man eben Zeit zum Arbeiten), als Beifahrer bei einem Apotheken- Kurierdienst. Die Autos mussten mit 2 Leuten besetzt werden, wenn man in/unter einer Schneeverwehung steckengeblieben war, musste einer Hilfe holen (Handys gab es damals noch nicht). War schon ein unheimliches Gefühl, wenn man Schneeverwehungen sprichwörtlich unterfahren musste. Teilweise türmte sich der Schnee wie so eine Art Brücke über die Strasse. Nur, die Arzneimittel mussten trotzdem ausgeliefert werden.


photopeter

   


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