Zitat von Litra_EG
ich weiß ja nicht, inwieweit Ihr in Österreich von der Schneekatastrophe 1978/1979 was mitbekommen habt, aber obwohl ich erst 10 war, werde ich das mein Leben lang nicht vergessen. Nur Schneeschippen hätte nix gebracht. Außer kalte Füße.
Hallo Litra_EG,
Deinen Gedanken an die Schneekatastrophe in Norddeutschland greife ich nochmals auf. Ich war damals 13 Jahre alt und denke ähnlich wie Du. In unserem Wohnzimmer, das zur Ostseite lag, herrschten am 1. Januar -14°C. Die einzige Wärmequelle in unserem Haus war ein alter, schon damals seit Jahren nicht mehr genutzter Ofen in der Waschküche, für den mein Vater erst einmal wieder eine provisorische Verbindung zum Schornstein schaffen musste. Darin wurden alle möglichen Holzreste verfeuert. Ein älterer Mann aus unserem Ort verbot dagegen seiner Frau, einen Ofen aufzustellen und an den stillgelegten Schornsteinschacht anzuschließen, weil dann nämlich die Wohnzimmertapete beschädigt worden wäre. Er ist kurz vor der Wiederherstellung des Stromleitungsnetzes erfroren.
Aufgrund unserer beheizten Waschküche ging es uns relativ gut. Wir konnten Essen kochen und uns waschen, weil wir ja die Möglichkeit hatten, Eis aufzutauen. Kurzzeitig beherbergten wir eine hochschwangere Nachbarin. Glücklicherweise bin ich nicht mit den Problemen der Landwirte im Umland konfrontiert worden. Teilweise verhungerte oder erfror dort das Vieh, und die Milchkühe schrien in den Ställen, weil die Bauern die Tiere mit der Hand nicht schnell genug melken konnten, bzw. weil die Kühe sich gar nicht mehr ohne Maschine melken ließen.
Währenddessen fuhr die Bundeswehr die Techniker der Stromversorger mit Panzern und Allradfahrzeugen teilweise querfeldein zu den unterbrochenen Leitungen und umgeknickten Masten. Als der Schneesturm sich gelegt hatte, konnte man kilometerweit die Tag und Nacht brüllenden Motorgeräusche der Leopard 1 hören, denn parallel versuchten Bergepanzer die oft meterhoch verwehten Straßen zu räumen - und scheiterten dabei, weil sie mit ihren Räumschilden den Schnee nur vor sich herschieben konnten. Erst mit Schneefräsen aus Süddeutschland wurde man hier Herr der Lage.
Die folgenden Eisenbahn-Bilder sind sicher schön anzusehen, man sollte dabei aber trotzdem nicht vergessen, dass die Lage für die Betroffenen sehr ernst war. Schließlich konnte niemand wissen, wann sich die Wetter- und Versorgungsverhältnisse normalisieren würden bzw. wie lang die Lebensmittelvorräte reichen würden. Die Lebensmittelgeschäfte waren schließlich schon nach wenigen Tagen leergekauft.
Edit: Leider funktioniert nur noch die Vergrößerung der unteren 5 Bilder und der Streckenkarte; die Imageshack-Bilder stammen aus einem meiner älteren Foren-Beiträge.
212 mit Klima-Schneepflug in Niebüll, 218-Doppel im Bw Flensburg, Bahnsteigdach im Bf Flensburg.
Im Emsland blieb auch manche 220 stecken.
221 in Eutin, eingeschneiter Zug in Husum.
Das Bild rechts unten ist fast schon ein kleines Rätsel:
Man erkennt einen Umbau-Gepäckwagen und einen angehängten Triebwagen der BR 515/815.
Auch das südliche Dänemark war betroffen.
Im folgenden ein Beispiel von der Strecke Flensburg - Kiel,
stellvertretend für die Geschichten, die sich hinter solchen Bildern verbergen.
Zur besseren Übersicht numeriere ich die Züge durch:
- Am 29.12.78 fuhr sich ein Triebzug 1 der BR 612/613 aus Richtung Kiel kommend in einer Schneewehe südlich von Rieseby fest und wurde von einer Diesellok freigeschleppt.
- Der in dieser Zeit im Bahnhof Rieseby wartende Gegenzug 2 (BR 612/613) schneite ein.
- Ein Nahverkehrszug 3 aus Kiel (BR 612/613) blieb in der südlichen Einfahrt von Rieseby stecken. Beim Versuch, ihn mit einer Diesellok freizuschleppen, riss die VT-Einheit auseinander. Ein Teil musste also stehen bleiben. Damit war der Streckenabschnitt Rieseby Eckernförde gesperrt.
- Ein Eilzug 4 aus Flensburg (BR 612/613) wurde mit Vorspannlok (BR 21 gefahren. Am nördlichen Einfahrsignal von Rieseby blieb er in einer Schneewehe stecken. Die 218 fiel mit Motorschaden aus und der Zug schneite sehr schnell ein:
- In Flensburg stellte man nun einen Bergezug 5 zusammen, um die bei Rieseby im Zug 4 festsitzenden Reisenden wieder nach Flensburg zurückzuholen: Zwei Silberlinge, gezogen von drei Dieselloks der BR 218 abc, besetzt mit vier Lokführern und einem Zugführer:
"Kurz vor Winderatt wird's noch schlimmer, wir verlieren enorm an Geschwindigkeit. Ab Sörup wird uns mulmig, von links schlagen Leitungsdrähte an die Lok, von rechts herabhängende Zweige. Es knallt fürchterlich. Wir haben Angst vor umgestürzten Leitungsmasten. Wir gehen in Hockstellung, falls ein Fenster zu Bruch geht."
In Süderbrarup wurde eine der Dieselloks a an den Zugschluss 5 gesetzt.
"In Fahrtoft fahren wir mit Volllast in die Schneewehen hinein und verlieren rapide an Geschwindigkeit. Ein Gefühl, als halten uns Gummiseile. Jetzt 25 km/h, der Schnee schießt über die Lok hinweg - wir werden schneller. Dann hinter Lindaunis (Schlei) in das gesperrte Gleis. Anhaltspunkte fehlen. Wir schieben eine Unmenge Schnee vor uns her und entdecken das Vorsignal von Rieseby, jetzt auch die Schlussleuchte des VT. Bremsen ist gar nicht nötig, der Zug kommt ca. 20 m vor dem Hindernis zum Stehen. Der Schneesturm tobt mit unverminderter Gewalt. Der Zugführer steigt als erster von der Lok. Er versinkt im Schnee, er ist weg, einfach weg! Über freies Feld suchen wir uns einen Weg zum VT."
An Abschleppen war nicht zu denken. Unter schwierigsten Bedingungen, bei stockfinsterer Nacht und tobendem Schneesturm, wurden die Reisenden des Zuges 4 von den Zugpersonalen geborgen und in den Zug 5 übernommen.
"Wir fahren wieder los und kommen gut aus dem Bahnhof. Wir kennen unsere Strecke, gleich muss das Kommando Volllast kommen, aber wir werden wunderbar weich abgebremst. Endstation, hier in Fahrtoft? Von vorne kommt die Meldung, irgendwo im Zug geht die Luft aus der Bremsleitung weg. Ein Verlassen des Führerstands ist nicht möglich. Es gelingt, mit allen Luftpressern den Leitungsdruck zu halten. Unvorstellbar, welche Schneemassen hier liegen. Zurück Richtung Lindaunis. Dann ein neuer Anlauf - wir sind durch! Unbeschreiblicher Jubel über das Zugbahnfunkgerät. Jetzt läuft es besser. Süderbrarup, Sörup, nach Winderatt runter fast von alleine. Dann, nach zwei durchfahrenen Schneewehen ein Schlingern und Stampfen des Führerstandes. Schnellbremsung! Das vordere Drehgestell steht nicht mehr auf den Schienen."
Die bisher ziehende Lok a wird abgekuppelt und bei Winderatt stehengelassen. Der Zug 5 mit den Reisenden fährt gezogen von seinen zwei Loks bc zurück nach Sörup.
"Und plötzlich stand ich mit meiner entgleisten Lok um 1:00 Uhr Nachts bei km 66,2 im freien Feld mutterseelenallein und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Ich hatte ja noch zwei Schnitten und etwas Kaffee."
In Sörup fällt der Aufsichtsbeamte fast in Ohnmacht, als der Zug 5 unangemeldet wieder zurückkommt:
Nun müssen die Fahrgäste versorgt werden. Das THW wird alarmiert und bringt Verpflegung, später auch Dieselkraftstoff für die Lok, damit der Zug 5 beheizt werden kann. Es sind harte Tage für alle - bis man sie am 2. Januar 1979 mit dem Hubschrauber ausfliegt.
Noch in der Nacht vom 29. auf den 30.12.1978 versuchte ein Hilfszug aus Flensburg mit vorausfahrendem Schneepflug 6 zur entgleisten Lok a bei Winderatt zu kommen. Hinter Maasbüll, nach nur 7 km Fahrt, hob eine Schneewehe den Schneepflug an. Hierbei wurde er zur Seite gedrückt und einmal um die eigene Achse gedreht. Die schiebende 218 185-7 landete auf der anderen Seite im schneegefüllten Graben. Zum Glück wurde niemand verletzt, aber die Strecke Flensburg - Kiel war nun endgültig gesperrt:
Der Lokführer der entgleisten Lok a wurde um 8:30 Uhr über Funk aufgefordert, sich nach Winderatt durchzuschlagen, da das Wetter immer schlechter wurde und keine Hilfe zu erwarten sei.
"Den Motor ließ ich weiterlaufen, meldete mich über Funk ab und machte mich auf den Weg, immer die Telegrafenmasten im Auge, um nicht vom Kurs abzukommen. Etwa 50 Minuten brauchte ich für einen Kilometer. Die Schrankenwärterin schlug die Hände über dem Kopf zusammen bei meinem Anblick."
Mit Bergepanzern der Bundeswehr wurde bei Maasbüll zunächst eine Fläche neben dem Gleis freigeräumt und die entgleiste 218 6 mit zwei Eisenbahnkränen dort auf dem Feld abgesetzt. Nachdem das schwer beschädigte Gleis repariert war, hoben die beiden Kräne die Lok am 3. Januar wieder auf das Gleis:
Erst am 5. Januar war die Strecke wieder durchgehend befahrbar:
Freundliche Grüße
K-P